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Ob ein Sängertreffen vor 200 Jahren wohl tatsächlich so aussah wie moderne Computer sich das heute vorstellen? |
Kaum zu glauben das diese fundamentale Weisheit ausgerechnet von einem Augustinermönch stammen soll. Zieht man allerdings in Betracht, dass sich selbiger einst unter dem Namen
Junker Jörg auf der Wartburg verstecken musste, nachdem er sich in Kirchenkreisen nicht unbedingt nur Freunde gemacht hatte, so ist Herrn Luther diese Eingebung durchaus zuzutrauen. Bewiesen ist das - wie so oft - nicht. Unstrittig ist hingegen, dass es sich bei diesem oft zitierten Vers um den
Sängerspruch unseres Chores handelt. Eigens für uns hat seinerzeit der Musikprofessor und ehemalige „Bundes-Chormeister“
Wilhelm Rinkens einen 4-stimmigen Satz komponiert mit dem wir traditionell jeden unserer Auftritte beginnen. Wir, der
Männerchor Winzerla von 1810.
Aber wie kam es dazu? Was trieb vor nunmehr 215 Jahren schwer arbeitende Handwerker und Bauern an, in ihrer spärlich bemessenen Freizeit ausgerechnet zu singen? War es die Arbeit in den Weinbergen die irgendwie
inspirierend wirkte? War es ein zufälliges Zusammentreffen sonderlich begabter Sänger? Sicher nicht, denn vergleichbares geschah vielerorts. In dem zerrissenen Gefüge, das in Teilen einmal Deutschland werden sollte, wurde der Ruf des aufstrebenden Bürgertums nach grundlegenden Reformen immer unüberhörbarer.
Der deutsche Männergesang entwickelte sich im Rahmen genau dieser bürgerlichen Bewegung des frühen 19. Jahrhunderts. Neben der Kirchenmusik gründeten sich zunehmend Vereine um die wachsende Zahl sangesfreudiger Männer zu organisieren. In unserem Fall geschah dies am 1. Februar 1810 durch den Kantor und Lehrer
Heinrich Christoph Hecker. Vier Jahre nachdem sich ein französischer General nahe Jena ebenfalls in die Geschichtsbücher einschrieb, trafen sich zunächst 37 Bauern und Handwerker aus Winzerla und Burgau, damals noch Vororte von Jena, und beschlossen fortan gemeinsam zu musizieren. Eigens hierfür wurden verbindliche Chorgesetze verfasst. Diesen Schriftsatz ließ Hecker von der herzoglichen Kirchenkommission zu Jena konfirmieren. Das Original unserer Chorgesetze ist bis heute erhalten und befindet sich in einem lokalen Pfarramt. Im Laufe der Jahre kam ein Statut hinzu und nach der deutschen Wiedervereinigung wurde der Männerchor Winzerla schließlich in einen ehrenamtlichen Verein überführt. Unsere aktuelle Satzung setzt aber noch immer auf den in Gründertagen entstandenen Chorgesetzen auf.
Seither besteht unser Chor durchgängig seit nunmehr 215 Jahren. Zum Erliegen kam die Vereinstätigkeit lediglich während der beiden Weltkriege. Wir zählen damit zu den ältesten urkundlich erwähnten Männerchören Deutschlands und sind womöglich sogar DER älteste Männerchor Thüringens. Diesbezüglich wurde von einem unserer Mitglieder beim MDR die Bitte um eine Recherche eingebracht deren Ergebnis noch aussteht. In jedem Falle sucht eine derart nachhaltige Pflege deutschen Brauchtums ihres Gleichen.
Im Jahre 1993 durften wir dafür eine ganz besondere Auszeichnung entgegennehmen. Für die
„Pflege der Chormusik und des deutschen Volksliedes“, so der Stiftungszweck, wurde unserem Chor im Leipziger Gewandhaus die
Zelter Plakette überreicht. Namensgebend für diese Ehrung ist der Musikprofessor und Pädagoge
Carl Friedrich Zelter, ein einflussreicher Zeitgenosse Goethes. Die beiden Persönlichkeiten verband eine über 30-jährige Freundschaft und einigen Quellen zufolge gilt Zelter, der zahlreiche von Goethes Gedichten vertonte, als einziger
Duzfreund des Universalgenies.
Nun möchten wir den Herrn Geheimrat gewiss nicht überstrapazieren aber zumindest der Vollständigkeit halber müssen wir dann doch erwähnen, dass selbiger den Besuch in unserer
Trießnitz sogar eine Eintragung in seinem Reisetagebuch widmete. Mitten in diesem lauschigen Fleckchen am Rande Jenas, dort wo auch schon Schlegel, Haeckel, Fichte, Hufeland, etc. Erholung fanden befindet sich unser Sängerplatz. So mischt sich dort bei jedem Auftritt immer auch ein Hauch von Geschichte unter unseren Gesang. Wir sind zurecht stolz auf unsere Altvorderen, fühlen uns ihnen verpflichtet und an den Auftrag erinnert den wir seit 215 Jahren durch die Generationen führen: Die Verbreitung und der Erhalt des deutschen Liedgutes. Dieses Selbstverständnis schließt jedoch keinesfalls das Singen von Liedern anderer Länder und Kulturen aus. Unsere nicht ganz unerhebliche Liedersammlung umfasst klassische Chorsätze des 17. bis 20. Jahrhunderts ebenso wie Gospel, englisch sprachige Traditionals, sowie Sätze in italienischer oder kroatischer Sprache. Silchers „Sanctus“ singen wir auf Latein.
Neben den Auftritten selbst sind der Aufbau und die Pflege von Freundschaften zu anderen Chören ein weiterer wichtiger Teil unserer Vereinsarbeit. Dies gelingt uns zunehmend auch über die Grenzen Jenas hinaus. Fast entsteht der Eindruck, ein
harter Kern sangesfreudiger Frauen und Männer organisiert sich zunehmend selbst. Mit dem Erhalt derartiger Freundschaften blicken wir auch in die Zukunft. So ist es bereits jetzt eine schöne Tradition, gemeinsame Auftritte mit anderen Chören zu organisieren. Bei diesen Veranstaltungen, erwähnt sei stellvertretend das traditionelle Morgensingen auf dem Jenzig, vermischen sich auf der Bühne die Sänger aller Chöre und singen Seite an Seite. Von einem
"Sängerkrieg", wie er der Legende nach im Jahre 1207 auf der Wartburg bei Eisenach stattgefunden haben soll, kann sicher keine Rede sein. Im Gegenteil, es werden auch mal Chorleiter
verborgt um die Probenarbeit aufrecht zu erhalten oder einen Auftritt abzusichern.
In den 215 Jahren unseres Bestehens haben 27 Vereinsvorsitzende und ebenso viele musikalische Leiter ihr Engagement in den Chor eingebracht. Diese Übereinstimmung ist allerdings purer Zufall da beide Posten völlig unabhängig voneinander besetzt werden. Eine Ausnahme stellt lediglich unser Gründervater selbst dar. Christoph Heinrich Hecker vereinte über 42 Jahre lang beide Funktionen auf seiner Person. Ein Blick in unser Archiv lässt ebenfalls vermuten das es seit jeher nicht ganz einfach war einen Vorstand zu rekrutieren. So unterliegt der Vorsitz teils einer starken Fluktuation mit Amtszeiten unter einem Jahr. In den
Fünfzigern des letzten Jahrhunderts wurde der Chor über 3 Jahre hinweg von 6 Sängern gleichzeitig geführt.
Derzeit werden unsere Geschicke von Joachim Vogel gelenkt. Gewählt als spontan aufgestellter Kandidat während einer Jahreshauptversammlung hält er seit nunmehr 10 Jahren sicher die Fäden in der Hand. Nach den
Kurzauftritten seiner Vorgänger verlieh er unserem Verein wieder Stabilität und Perspektive. Sein unermüdlicher Einsatz in den Jahren der großen Grippewelle hat unseren Chor vor einem schlimmen Schicksal bewahrt. In Zeiten, in denen von einem „dramatischen Rückgang“ ehrenamtlichen Engagements die Rede ist, gebührt ihm unser großer Dank. Es scheint, als habe er sich das stille Versprechen gegeben nicht als DER Vorsitzende in unsere Chronik einzugehen, der 215 Jahre deutschen Brauchtums seinem Ende zuführt. Und in gewisser Weise gilt das für jeden unserer Sangesbrüder deren ältestes Mitglied dieser Tage die 90 erreicht hat.
Zu unseren besten Zeiten standen um die 60 Sänger auf der Bühne. Dagegen mutet die derzeitige Zahl aktiver Mitglieder vergleichsweise gering an. Aber auch mit 24 Sängern ist ein vier stimmiger Chorgesang noch immer möglich. Wir singen in der Aufstellung TTBB, das bedeutet 2 Tenor- und 2 Bass Stimmen. Die überwiegende Zahl von Sätzen für Männerchöre ist in dieser Form ausgeführt. Durch unsere Auftritte führen wir mit kurzweiliger Moderation. Zu jedem Lied gibt es eine kleine Episode oder Wissenswertes rund um dessen Entstehung. Auch so kann die Vermittlung kulturellen Erbes aussehen. Unser höchster Feiertag ist das alljährliche Stiftungsfest, welches wir traditionell zeitnah zum Gründungstag unseres Chores begehen. Hier finden auch die Ehrungen verdienter und langjähriger Sänger statt. Nicht wenige von ihnen tragen bereits die goldene Ehrennadel, die für 40 Jahre Mitgliedschaft vom Thüringer Sängerbund verliehen wird.
Eine kleine Besonderheit, auf die wir recht stolz sind, ist unser Dirigent an sich. Mit ihm haben wir eine über Jahre getragene Idee verwirklicht: Die Ausbildung eines musikalischen Leiters aus den eigenen Reihen heraus. Denn so groß das Engagement freier Chorleiter zu ihrer Zeit auch gewesen sein mochte – am Ende war die Verbundenheit nie groß genug, um ihre anderweitigen Pläne mit der Leitung unseres Chores zu vereinbaren. Und so
opferten wir schweren Herzens einen 2. Tenor und ließen ihn, ganz klassisch, in Weimar von der mehrfach studierten Musikpädagogin Monika Herold ausbilden. Ihr Name zieht sich, häufig im
Kleingedruckten, kreuz und quer durch Deutschlands Musikszene. Als scheidende 26. Chorleiterin, der ersten Frau in unserer Geschichte, hinterließ sie uns gewissermaßen ihren selbst
gebackenen Nachfolger. Wie sich später zeigte vereinen sich in seiner Person noch einige recht nützliche Fähigkeiten... So ist er, als Software Entwickler, auch der Programmierer unserer neuen Homepage. Seine musikalische Jugend verbrachte er ab der 2. Klasse in verschiedenen Schulchören und später in Amateurbands. Mit seinem Interesse für Komposition und Harmonielehre lässt er manch schwierige Passage einfach klingen oder stellt Bezüge zu aktueller Pop Musik her.
Für ebenfalls erwähnenswert halten wir das soziale Gefüge unseres Chores. Um es ein wenig lyrischer zu verpacken:
Der Gesang ist das Band das uns bindet, aber wenn die Singstunde zu Ende ist sind da noch immer viele Freunde. Gefährten die sich gut ihr halbes Leben kennen und bei denen man(n) sich auch mal von der Seele reden kann. Wir halten aktiven Kontakt zu Sängern die längerfristig erkrankt sind oder der Singstunde aus familiären Gründen fernbleiben müssen. Schon vor Jahren hat sich innerhalb des Chores eine eigene Wandergruppe formiert. Hier sind auch unsere Sängerfrauen integriert. Überhaupt sollte keinesfalls der Eindruck entstehen, dass wir unsere Frauen aus dem Vereinsleben heraushalten. Im Gegenteil: Sie sind unsere treuesten Fans, aber auch unsere ehrlichsten Kritiker. Bei allen Einladungen denen wir folgen sind sie gern gesehene Gäste. Wenn dann noch die Musik zum Tanz aufspielt ist sogar der Ischias mal für ein paar Augenblicke vergessen…
Abschließend sei noch eines unserer wichtigsten Mitglieder erwähnt, genau genommen ein Ehrenmitglied. Es ist DER Mann, der unseren Chor seit nunmehr 18 Jahren das sprichwörtliche
Dach über dem Kopf gibt, Jürgen Lobeda, Inhaber des Hotels „Zur Weintraube“. In seinem Haus haben wir, auch nach der Einstellung des Gastronomiebetriebes, unser Sängerlokal, sprich, den Proberaum. Rustikal eingerichtet und dekoriert mit unserem 4m langen Banner
pauken wir hier bis sich 24 einzelne Stimmen zu wundervollen Harmonien vereinen. Denn wie heißt es doch so schön in einem unserer Lieder:
"Wohl den Meister will ich loben solang‘ noch mein Stimm‘ erschallt".
Und das könnte wahrer nicht sein. Mick Jagger soll auf die Frage wie lange die Rolling Stones noch auf die Bühne gehen einmal gesagt haben:
„Die Rolling Stones verlässt man nur in einem Sarg.“ Nun, ganz so dramatisch würden wir es vielleicht nicht formulieren aber in der Sache gehen wir da mit dem legendären Frontman der
„Stones“ schon D’accord. Solange wir genügend Sänger auf der Bühne vereinen um unsere Lieder in würdiger Form zu Gehör zu bringen werden wir singen. Bis heute verzichten wir bewusst auf Keyboard Begleitung oder gar Halb Playback. Von da an ist es nicht mehr weit bis zu
Karaoke. Für einige Chöre leider schon jetzt das letzte Mittel um irgendwie dem voranschreitenden Mitgliederschwund entgegen zu wirken.
Und hier kommen
SIE ins Spiel, lieber Besucher unserer Web Seite. Denn wie die Geschichte eines der ältesten Männerchöre Deutschlands weitergeschrieben wird können auch Sie mitbestimmen. Sie haben die Möglichkeit Teil von etwas zu werden das vor 215 Jahren begann, im Winter 1810, als 37 Männer sich
verschworen und dem Gesang versprachen. 37 Sangesbrüder die später ihre Söhne und wiederum deren Söhne zu uns gesellten. Das Gefühl auf einer Bühne zu stehen ist einzigartig, soviel sei versprochen. Falls Sie also je mit dem Gedanken gespielt haben einem Chor beizutreten, finden Sie im Abschnitt
SING MIT zahlreiche Informationen die Ihnen bei ihrer Entscheidung hilfreich erscheinen mögen. Hier wird u.a. auch die häufigste Frage beantwortet:
„Muss ich da Noten können?“ Bereits an dieser Stelle sei aber, nochmals mit Blick auf unsere Historie, erwähnt: Wir waren und wir sind ein reiner Laienchor. Dennoch bliebe anzumerken, dass sich einer unserer Sänger vor Jahren die
Studentenbude mit einem gewissen Gunther Emmerlich teilte…
Joachim Vogel, Vorsitzender
Karsten Puffe, musikalischer Leiter
Jena, Winzerla, im Juni 2025